Fördern gestörte Mitochondrien chronisch entzündliche Darmerkrankungen? Und wenn ja, wie?
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) betreffen in Deutschland rund 600 000 Menschen. Sie leiden unter immer wiederkehrenden Entzündungen des Darmes. Diese werden durch entzündungsfreie Ruhephasen unterbrochen.
Hier wollen wir Ihnen zwei Darmkrankheiten vorstellen, der Colitis ulcerosa und dem Morbus Crohn. Während der Colitis ulcerosa auf den Dickdarm beschränkt ist, kann Morbus Crohn den gesamten Verdauungsapparat betreffen. Die Krankheit ist schwer zu diagnostizieren und die beiden Krankheiten können nicht immer endgültig unterschieden werden. Typische Symptome, wie Bauchschmerzen, Abgeschlagenheit, Durchfall und Verstopfung, können absolut unterschiedliche Ursachen haben.
Ist das Darmepithel betroffen?
Es ist schon lange bekannt, dass der Stoffwechsel der Darmepithelzellen bei Colitis ulcerosa aus dem Takt gerät. Sie verbrennen dann deutlich weniger von ihrer Hauptenergiequelle, der kurzkettigen Fettsäure Butyrat. Die Darmepithelzellen kleiden das Innere des Darmes aus. Sie sind für die Aufnahme von Nährstoffen und den Schutz vor schädlichen Einflüssen verantwortlich. Zudem haben die Zellen einen hohen Energieverbrauch.
Man sah deshalb schon früh chronisch entzündliche Darmerkrankungen als eine Energiemangelkrankheit an. Einen Zusammenhang mit den Mitochondrien, den Zellorganellen, in denen die Verbrennung und Energiegewinnung stattfindet, sah man aber nicht und vermutete eher einen Mangel an Brennstoff als Ursache.
Was Mitochondrien sind, können Sie in unseren Beiträgen für Laien nachlesen. Und die Eigenschaften des Darmepithels finden Sie hier beschrieben.
Dysbiose im Darm bei CED
Eine weitere wichtige Komponente der Pathogenese chronisch entzündlicher Darmerkrankungen ist eine Dysbiose des Darm-Mikrobioms. Das Darm-Mikrobiom ist die Gemeinschaft aller im Verdauungssystem vorkommender Mikroorganismen. Es besteht hauptsächlich aus Bakterien unterschiedlichen Arten. Es ist wichtig, dass diese in einem ausgewogenen Verhältnis vorkommen. Gerät die Gemeinschaft aus dem Gleichgewicht, kann das verschiedene Krankheiten nach sich ziehen. Oft beobachtet man im Krankheitsfall eine Dysbiose im Darm. Und erstaunlicherweise lassen sich sowohl die Erkrankung und oft auch deren Heilung, mit einer Stuhltransplantation von einem Individuum auf ein anderes übertragen. Da besteht offensichtlich ein kausaler Zusammenhang.
CED hat genetische Ursachen?
Die Ursachen für chronische entzündliche Darmerkrankungen sind nicht abschließend geklärt, aber eine genetische Komponente gilt als sicher. Etwa 240 Gene, die mit einem Risiko für CED einhergehen, sind bekannt und viele davon betreffen die Mitochondrien.
Bisher ist die Krankheit nicht heilbar. Das könnte sich aber ändern, denn die Ergebnisse einer Forschergruppe der TU München haben einen Zusammenhang zwischen CED und einer Fehlfunktion der Mitochondrien gefunden.
Gestörte Mitochondrien führen zu Entzündungen?
Die Forschenden erzeugten in den Mitochondrien der Darmepithelzellen von Mäusen künstlich eine Fehlfunktion, indem sie ein wichtiges Protein für die Regeneration fehlgeleiteter Proteine ausschalteten. Die Mitochondrien gerieten daraufhin mächtig in Stress. Das veränderte ihren Stoffwechsel. Die oxidative Phosphorylierung, das ist die Synthese von ATP im Rahmen der Zellatmung, sank. Stattdessen nahm die Energiegewinnung durch Glycolyse, dem einfachen Abbau von Glucose, zu. Eigentlich sind Mitochondrien die Organelle der Zellatmung. Es ging ihnen also richtig schlecht. Ein sicheres Zeichen für eine gestörte Funktion.
Bei den Mäusen mit gestörter Mitochondrienfunktion veränderten sich sie Darmkrypten. Diese Gewebestörungen ähnelten denen, die auch bei entzündlichen Darmerkrankungen auftreten. Die Forschenden sahen in der Funktionsstörung der Mitochondrien die Ursachen für die Veränderungen der Darmkrypten. Nur Stress in den Mitochondrien allein genügte nicht, Gewebestörungen zu entwickeln.
Ermöglicht Dysbiose im Darm Entzündungen?
Neben Entzündungen des Darmepithels sind auch Veränderungen des Darm-Mikrobioms charakteristisch für entzündliche Darmerkrankungen. Deshalb suchten die Forschenden während der Gewebestörungen im Mikrobiom der Mäuse nach Veränderungen. Und tatsächlich fanden sie Veränderungen der Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms, die vor allem sechs Bakteriengattungen betrafen.
Eine davon fiel besonders auf: Bacteroides, eigentlich ein kommensales Bakterium, vermehrte sich im entzündeten Darm der Mäuse rasant. Ein kommensales Bakterium, ist ein Bakterium das im Regelfall friedlich in Symbiose mit uns zusammen lebt.
Und Bacteroides tummelt sich nicht nur in entzündeten Mäusedärmen. Die Analyse von 468 Stuhlproben von Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen zeigte ebenfalls einen erhöhten relativen Anteil von Bacteroides im entzündeten Darm.
Sind also Darmbakterien an der Entzündung schuld?
Jedenfalls konnten die Forschenden in den Därmen von Mäusen, die zwar gestörte Mitochondrien hatten, aber frei von Darmbakterien waren, keine Gewebestörungen oder Entzündungen beobachten.
Die Forscher kolonisierten diese Mäuse mit einer synthetischen minimalen Darm-Mikrobiota, die nur aus 12 Gattungen bestand. Das ist nur ein winziger Bruchteil eines natürlichen Mikrobioms. Und schon entzündeten sich die Därme wieder. Das zeigte, dass mit geschwächten Mitochondrien schon eine stark reduzierte Bakteriengesellschaft im Darm genügt, Gewebeschäden und Entzündungen hervorzurufen. Und wieder war es eine Bacteroides-Art, B. caecimuris, die sich besonders stark vermehrte.
Es stellte sich heraus, dass schon die Infektion mit B. caecimuris allein genügte, die Symptome hervorzurufen. Allerdings war den vorangegangenen Experimenten noch eine andere Bakterienart aufgefallen. Auch Akkermansia muciniphila war leicht erhöht. Akkermansia ist allerdings eine strahlende Heldin unter den guten Darmbakterien. Ihre Anwesenheit wird mit Gesundheit und Langlebigkeit assoziiert.
Die Forscher kolonisierten daraufhin Mäuse mit beiden Bakterienarten, B. caecimuris und A. muciniphila, und stellten fest, dass A. muciniphila in der Lage war, B. caecimuris zu verdrängen. Gewebeschäden konnten die Forschenden bei der Besiedlung mit beiden Bakterienarten nicht feststellen.
Eine CED typisches Proteinsignatur
Die Forschenden untersuchten welche Proteine in geschädigten und gesunden Mäusedärmen gebildet werden. Sie fanden reichlich Unterschiede im sogenannten Proteom. Aber nur, wenn B. caecimuris den Mäusedarm alleine besiedelte. Die Veränderungen der Proteinsynthese zeigten eine Signatur, die typisch für CED ist. In Anwesenheit von A. muciniphila konnten sie keine Unterschiede in der Proteinsynthese feststellen.
Fazit
Wenn die Mitochondrien nicht richtig funktionieren, gehen vom Darm-Mikrobiom Signale aus, die Symptome hervorrufen, die typisch für chronisch entzündliche Darmerkrankungen sind. Für die zukünftige Entwicklung von Therapien gegen CED lohnt es sich also, die Funktion der Mitochondrien im Auge zu behalten. Die Optimierung der Mitochondrienfunktion könnte ein erfolgversprechender neuer Therapieansatz sein.
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Bildquelle: Pixabay, Menschliche zelle, Zellmembran, Kern
Quelle:
Urbauer, Elisabeth et al. “Mitochondrial perturbation in the intestine causes microbiota-dependent injury and gene signatures discriminative of inflammatory disease.” Cell host & microbe vol. 32,8 (2024): 1347-1364.e10. doi:10.1016/j.chom.2024.06.013